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.Geschichte   .Gebiete  

Tod ist Leben, Niederlage Sieg

Der bekannte englische Journalist Robert Fisk (Independent, Observer, Guardian) ueber das Einverstaendnis zwischen Folterregimen diesseits und jenseits des Atlantiks und ihre brutalen Ergebnisse. |  The Independent / ZNet 27.02.2006 | © 2006 Independent News and Media Limited http://informationclearinghouse.info/article12083.htm  

 

.291 Kreuzfahrergeschichte

 

 

In Bezug auf den Mittleren Osten "ueberarbeitet " so ziemlich jeder die Geschichte. Dennoch hat es wohl noch nie eine US-Administration gegeben, die so bewusst unredlich und ruecksichtslos Tragoedie zu Erfolg, Niederlage zu Sieg und Tod zu Leben umdeklariert hat, und ich muss hinzufuegen, dass die amerikanische Presse hierbei Komplize ist. Dabei fuehle ich mich weniger an Vietnam erinnert, vielmehr an jene franzoesischen und britischen Kommandeure im Ersten Weltkrieg, die immer wieder die Luegenmaer vom (moeglichen) Militaersieg ueber den deutschen Kaiser verbreiteten, waehrend sie Hunderttausende ihrer Maenner durch das Schlachthaus Somme, Verdun und Gallipoli trieben. Im Unterschied dazu treiben wir heute Hunderttausende Araber durch das Schlachthaus - es interessiert uns nicht einmal.


Letzte Woche kam eine von Bushs blindesten Fledermaeusen - seine Aussenministerin Condoleezza Rice - zu Besuch nach Beirut. Rices Besuch war typisch fuer jene Grausamkeit, die derzeit in Washington herrscht. Sie sprach kuehn von knospenden "Demokratien " im Mittleren Osten. Das Blutbad im Irak ignorierte sie auf ganzer Linie ebenso wie die wachsenden sektiererischen Spannungen im Libanon, in Aegypten und Saudi-Arabien. Der Schluessel zum Verstaendnis dieser Art von Gleichgueltigkeit duerfte Rices Aussage vor dem Senats-Komitee fuer Internationale Angelegenheiten sein, wo sie den Iran als "die groesste strategische Herausforderung " verurteilte, der sich die USA in der Region gegenuebersaehen. Der Iran greife zu politischen Mitteln, "die im Widerspruch stehen zu der Art von Mittlerer Osten, wie ihn die Vereinigten Staaten anstreben ".

 


BUSH GLAUBT NUR DANN AN SELBSTBESTIMMUNG, WENN ER DER SELBSTBESTIMMER IST...


Bouthaina Shaaban ist einer der kluegsten Koepfe der syrischen Regierung - eine durchaus nicht nur mit klugen Koepfen gesegnete Regierung. Shaaban sagt: "Was soll das fuer eine Art Mittlerer Osten sein, den die Vereinigten Staaten anstreben? Sollen die Staaten des Mittleren Ostens sich etwa an Vorstellungen anpassen, die jenseits des Ozeans entworfen werden? " Maureen Dowd, die beste und, ehrlich gesagt, auch einzig lesenswerte Kommentatorin der langweiligen New York Times schrieb im Februar, Bush "glaubt nur dann an Selbstbestimmung, wenn er der Selbstbestimmer ist... Die Bushies sind mehr besessen davon, die Amerikaner auszuspionieren, als auszuloten, wie man in anderen Kulturen denkt und reagiert " - und besessen davon, sich mit Schurkenregimen einzulassen, haette sie noch ergaenzen koennen.


Nehmen wir zum Beispiel Donald Rumsfeld, jenen anzuklagenden Menschen, der mithalf, das  "Shock-and-awe "-Fiasko im Irak auszuloesen. In der Truemmerlandschaft des Irak sitzen mehr als 100 000 Amerikaner in der Falle fest. Derweil reist Rumsfeld froehlich durch Nordafrika, um sich mit einigen der haesslichsten Diktatoren auf Amerikas Seite zu konsultieren - unter anderem mit dem tunesischen Praesidenten Zine el-Abidine Ben Ali. Ben Ali ist der Mann mit dem groessten Geheimdienst in der arabischen Welt; seine Polizei hat die Methoden perfektioniert, wie man  "Terrorverdaechtigen " Informationen entlockt. Die Gefangenen werden nach unten gedrueckt, dann stopft man ihnen in Bleichmittel getraenkte Lappen in den Mund, bis sie fast ertrinken.


VERGEWALTIGUNG, DANN ENTSORGUNG DURCH EIN HINRICHTUNGSKOMMANDO


Diese Methode haben die Tunesier vom Nachbarn Algerien gelernt - wo man sich uebrigens noch kruderer Methoden bedient. Viele der insgesamt 150 000 Opfer im algerischen Krieg gegen die Islamisten gehen auf das Konto der Todesschwadronen der algerischen Regierung. Ich selbst habe einige dieser Algerier in London interviewt (sie hatten Alptraeume, also beschlossen sie, in London Asyl zu beantragen). Diese Leute sagten mir, in Algerien wuerden die Opfer nackt auf einer Leiter festgebunden. Sollte die "Chiffon- "Folter (Folter mit dem Lappen) versagen, stecke man dem Opfer ein Rohr in die Kehle und leite Wasser aus einem Wasserhahn in den Schlund - bis der Gefangene sich aufblaehe wie ein Ballon. Es gaebe eine spezielle Abteilung zur Folter von Frauen (in der Polizeistation Chateauneuf, falls es Donald Rumsfeld interessiert). Alle Frauen wuerden vergewaltigt, bevor man sie den Hinrichtungskommandos zur  "Entsorgung " uebergebe.


Ich erwaehne das alles nur, weil Rumsfeld sich jetzt auch an Algerien anbiedert. Im Februar, bei seinem Besuch in Algier, verkuendete Rumsfeld: "Die Vereinigten Staaten und Algerien verbindet eine facettenreiche Beziehung. Diese besteht unter anderem in politischer und wirtschaftlicher Zusammenarbeit sowie (in einer Kooperation) von Militaer zu Militaer. Wir wissen die Kooperation, die uns auf dem Gebiet des Counterterrorismus zuteil wird, wirklich sehr zu schaetzen... " Ich gehe davon aus, die "Chiffon- "Technik ist leicht zu erlernen, ebenso die Misshandlung von Gefangenen - siehe Abu Ghraib, um nur ein Beispiel zu nennen. Derzeit tut man uebrigens so, als sei Abu Ghraib der Fehler von ein paar Journalisten und nicht der Fehler von ein paar amerikanischen Schurken.


In seinem juengsten Statement verteidigte Rumsfeld die Praxis des Pentagons, mittels Bestechung wuenschenswerte Nachrichten im Irak einzukaufen. Rumsfeld spricht von einer  "unorthodoxen Methode, um akkurate Informationen zu liefern ". Das ist sein juengster, fantasievoller Versuch, den Zusammenbruch, den das amerikanische Regime in Bagdad erleidet, zu kaschieren. Gleichzeitig griff Rumsfeld unsere Art der Berichterstattung ueber die Folter in Abu Ghraib mit den Worten an:  "Ueberlegen Sie mal kurz, wie enorm viele Zeilen und TV-Stunden sich mit der Gefangenenmisshandlung (!) in Abu Ghraib beschaeftigen und vergleichen Sie dies mit dem Umfang der Berichterstattung, sagen wir mal ueber die gefundenen Massengraeber Saddam Husseins beziehungsweise deren Verurteilung, sie (die Graeber) waren gefuellt mit Hunderttausenden unschuldiger Iraker ".


Entlarven wir diese freche Luege: Schon 1983 hatten wir das ueble Regime Saddam Husseins blossgestellt - vor allem den Gaseinsatz. Saddams Schergen hatten mir damals ein Einreisevisum fuer Irak verweigert, weil ich deren ueble Folterpraxis - ausgerechnet in Abu Ghraib - offengelegt hatte. Und was tat Rumsfeld zu der Zeit? Er besuchte Bagdad und katzbuckelte vor Saddam Hussein. Er erwaehnte ihm gegenueber nicht die Moerder und nicht die Massengraeber - obwohl er durchaus davon wusste. Vielmehr bat er das Biest von Bagdad um Wiedereroeffnung der amerikanischen Botschaft im Irak.


Mit den ueblichen Hoeflingen im Schlepptau gibt es allerdings kein Problem fuer Rumsfeld - siehe George Melloans kuerzliches Interview mit dem Biest von Washington in einer Boeing 737:  "Grosszuegig raeumt er mir Zeit fuer einen Plausch ein, der sich um die Verteidigungsstrategie dreht. Helles Sonnenlicht stroemt herein, beleuchtet sein Gesicht... Waehrend ich ihm am Tisch gegenuebersitze - hoch ueber den Wolken - frage ich mich, reicht die Macht dieses Blitze auf Gesetzesuebertreter schleudernden modernen Jehovas aus fuer jene Aufgaben, die seiner noch harren? "


Tragoedie und Mythenpflege gehen Hand in Hand. Die monumentale Katastrophe im Irak - nur noch Routine. Es ist eine monumentale Katastrophe ohne Konturen, ein sich entwickelnder "Buergerkrieg ". Die Amerikaner haben den Rahmen geliefert fuer das Desaster, doch heute wird das als Krieg Iraker gegen Iraker dargestellt. Man tut so, als habe Amerikas gross e, brutale Besatzung nichts mit der schrecklichen Gewalt zu tun, die sich derzeit im Irak abspielt. Sie sprengen sich gegenseitig die Moscheen in die Luft? Sie wollen sich einfach nicht vorwaertsbewegen. Wir sagen ihnen, rauft euch zu einer nicht-sektiererischen Regierung zusammen, aber sie lehnen ab. Letzteres wird meiner Meinung nach die Parole sein, wenn die Amerikaner im Irak von der naechsten gross en Welle ueberrollt werden.


1920 erhoben sich die Iraker gegen die Britenherrschaft im Land. Winston Churchill bezeichnete den Irak damals als "undankbaren Vulkan ". Lehnen wir uns zurueck, geniessen wir die Aussicht: Demokratie fuer den Mittleren Osten, die Menschen werden mehr Freiheiten geniessen. Geschichte zaehle nicht, nur die Zukunft. Wie aber sieht die Zukunft der Menschen im Mittleren Osten wirklich aus? Mit jedem Tag duesterer und noch blutiger. Ich denke, alles wird davon abhaengen, ob unser "Jehova " seinen Job erledigen kann, waehrend das grelle Sonnenlicht hereinstroemt und sein Gesicht blendet.

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